Zusammenfassung
1. Eine „paradoxe“ Reaktion im Sinne des Umschlagens der Reaktionsfähigkeit des Serums
von positiv zu negativ oder umgekehrt kommt weder bei eindeutig positiv reagierenden
syphilitischen, noch bei negativ reagierenden, nicht syphilitischen Sera vor, vorausgesetzt,
daß die Sera sachgemäß aufbewahrt und in richtiger Methodik und Technik untersucht
werden. Voraussetzung für derartige vergleichende Untersuchung ist aber gleichmäßige
Versuchsanordnung, speziell die Verwendung gleicher Antigene. Lediglich diejenigen
luetischen Sera, welche auf der weiter oben präzisierten Grenze der Reaktionsfähigkeit
stehen, können unter Umständen bei wiederholten Untersuchungen geringe Schwankungen,
nach der positiven Seite hin aber nur in Form der inkompletten Hemmung der Hämolyse,
darbieten; diese Schwankungen sind durch Unregelmäßigkeiten in der Versuchsanordnung
zu erklären. Ein Umschlagen der Reaktion kommt also nicht vor in dem Sinne, daß die
für Syphilis charakteristischen Reaktionskörper des Serums kurz nach der Entnahme
nicht in diesem enthalten sind, sondern sich erst während der Aufbewahrung des Serums
in ihm bilden oder daß sie zunächst vorhanden sind und dann verschwinden. Es müßte
sonst auch der Gehalt an Reaktionskörpern progessiv ab-, bzw. zunehmen und im positiven
Falle nicht nur bisweilen und wechselnd schwach angedeutet, sondern zu einer bestimmten
Zeit voll ausgeprägt sein.
2. Inkomplette Reaktionen, wie sie in der Arbeit beschrieben sind, dürfen weder im
positiven noch im negativen Sinne entscheiden; in solchen Fällen ist das Resultat
als verdächtig anzusehen und die Reaktion mit derselben und mit einer neuen Blutprobe
zu wiederholen.
3. Die Sera sollen stets möglichst frisch untersucht werden; bei der Beurteilung aufgehobener
Sera ist Vorsicht, speziell genaue Beachtung der Versuchsmethodik und der Kontrollen
notwendig. Die speziell für die Nachuntersuchung wichtigsten Gesichtspunkte der Technik
seien hier kurz wiederholt: Jedes Serum ist mit mehreren Antigenen, sowie zwecks quantitativer
Austitrierung mit einem Antigen bzw. Antigengemisch in fallenden Dosen zu prüfen;
die Antigene müssen sorgfältig eingestellt sein, speziell auf nur spezifische Wirksamkeit,
und dürfen in der höchst brauchbaren Dosis nicht allein hemmen. Das Serum darf nicht
allein hemmen; diese Kontrolle ist ev. bis zur drei- bis fünffachen Dosis Serum anzustellen.
Das hämolytische System muß reichlich genug bemessen und zur Erzielung gleichmäßiger
Resultate genau eingestellt sein; das Komplement ist nicht nur auf seinen hämolytischen
Titer, sondern auch auf seine Deviabilität zu prüfen; dies geschieht zweckmäßig durch
Titrierung des Komplements einmal ohne und einmal mit Antigen in der höchsten brauchbaren
Dosis jedesmal vor dem Versuch, sowie durch Verwendung bekannter Standardsera bei
dem Versuch.
Es ergibt sich aus unseren Ausführungen die jedem erfahrenen und kritischen Untersucher
immer eindringlicher werdende Ueberzeugung, daß die Methodik und Technik der Wassermannschen
Reaktion eine besondere Sachkenntnis, Uebung und ständige Selbstkritik eines erfahrenen
Biologen erfordert und daß eine Sicherheit der Untersuchungsergebnisse nur in einem
Speziallaboratorium gewährleistet werden kann, anderseits aber die Erkenntnis, daß
die Methode, in sachgemäßer Weise (mit brauchbaren und gut eingestellten Antigenen,
genau titriertem Komplement, Beobachtung der Kontrollen etc.) gehandhabt, äußerst
zuverlässige und diagnostisch brauchbare und, wenn auch bisweilen fragliche, so doch
nie unrichtige Resultate ergibt.